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Zum Jubiläum 2014: Der andere Strauss - Zum Jubiläum 2014: Der andere Strauss

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War Strauss der geniale Komponist oder nur der bajuwarisch-zünftige Musikant, zu dem ihn mancher Kritiker gern gemacht hätte? Eine Zeitreise.Es gilt als schicker Leistungsausweis gedanklicher Unabhängigkeit, dem Ritual von Gedenkjahren mit zumeist wohlfeiler Kritik zu begegnen. Und doch sind solche Gedenkjahre nicht einfach sinnlos gewordene Übungen oder selbstgefälliger Kommerz. Sie dienen der Vergegenwärtigung von Vergangenem, auch in der Musik, verbunden mit der Suche danach, was dieses Vergangene den Menschen der Gegenwart bedeuten könne. Das muss nicht immer produktiv sein oder gelingen. Das sich neigende Wagner-Jahr zum Beispiel verlief, von einigen Ausnahmen abgesehen, in den Bahnen des Bekannten. Und dort, wo man vielleicht Besonderes hätte erwarten können, in Bayreuth, gefiel man sich in der kanonisierten Fortschreibung einer ungebremsten szenischen Destabilisierungswut, die selbst nicht mehr ist als der Konformismus des Nonkonformen und die deswegen von ihren Protagonisten – in merkwürdiger Entsprechung zur Tagespolitik – als „alternativlos“ deklariert wurde.

Doch dessen ungeachtet: Das Gedenken kann im besten Fall eben doch zu einer Besinnung, vielleicht sogar zu einer kritischen Neubestimmung dienen, wofür es seit dem Bach-Jahr 1850 (!) erstaunliche Beispiele gibt. Im Falle von Richard Strauss ist dies besonders offenkundig. Äußerlich erscheint das Jubiläum sinnlos, denn seine Werke sind auf den Konzertpodien und den Opernbühnen präsenter denn je. Doch für das Strauss-Bild könnte es sich als sinnvoll erweisen. Das letzte große Gedenken, der 50. Todestag 1999, fand gerade noch im 20. Jahrhundert statt – jenem Jahrhundert, das nun endgültig zur Geschichte gehört. So könnte sein erstes Jubiläumsjahr im 21. Jahrhundert tatsächlich neue, vielleicht sogar grundlegend andere Perspektiven eröffnen.

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Mit welch sinnlosen Vokabeln ist der Komponist nicht belegt worden? Spätromantiker sei er gewesen (was voraussetzt, dass 1949 noch eine Romantik hätte enden können); der Rosenkavalier habe die Moderne, die sich doch in Elektra ankündige, verraten; das Heldenleben, in München vollendet, sei ein „wilhelminisches Prunkstück“ – und so fort. Und über allem steht das unter dem Eindruck Adornos entstandene Geschichtsbild der auf Materialfortschritt gerichteten „neuen Musik“, in dem Strauss keinen Platz hatte; ja Strauss galt Adorno und allen, die ihm folgten, nicht einmal als wirklicher Komponist.

"Allein die Bühne, die Oper galt ihm als angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Moderne."

Solche Klassifizierungen sind jedoch sinnlos, weil sie der Selbsteinschätzung des Komponisten fundamental widersprechen. Strauss verstand sich als Komponist der Moderne. Seine Tondichtungen sollten die letzte, die radikale Zuspitzung der instrumentalmusikalischen Denkformen des 19. Jahrhunderts sein, seine Opern, vor allem in der Zusammenarbeit mit Hofmannsthal, ein künstlerischer Neubeginn des 20. Jahrhunderts. Strauss, der gebildete, der belesene und philosophisch beschlagene Komponist, verabscheute ästhetische Proklamationen, Selbstauslegungen und Theoriegebäude. Deswegen war er gerade nicht der bajuwarisch-zünftige Musikant, zu dem man ihn gerne gemacht hat. Das oftmals ungebremste Selbstbewusstsein – wie oft hat er von einem neuen Werk behauptet, dies sei ein „wirklich gutes Stück“ – täuscht darüber hinweg, dass der Komponist und gefeierte Dirigent ein Meister der Selbstverbergung war. Die zahllosen Anekdoten über ihn sind keine Offenbarungen des „eigentlichen“ Strauss, sondern sie entrücken ihn in die Welt der Legenden.

Strauss hat als ganz junger Mann die tradierten Instrumentalformen (Sinfonie, Konzert und Sonate) komponiert – um sie gleichermaßen sich anzueignen wie abzulegen. In den Tondichtungen sollte das moderne, das nach-wagnersche Orchester zu Gestalten finden, die so individuell waren, dass sie keine Fortsetzung mehr erlauben konnten. Das „Eindeutige“ war ihm dabei unmöglich, auch in den Programmen, die sich zu Paaren bildeten: Zarathustra und Eulenspiegel, Heldenleben und Don Quichotte oder die Sinfonia domestica und die Alpensinfonie. Das vermeintlich Autobiografische darin ist jedoch, ganz anders als so oft behauptet, keine bürgerlich-behagliche Nabelschau. Es ist der Versuch, über Verbindungen zur eigenen Biografie der in idealistischen Absolutheitsansprüchen befangenen Kunst eine neue Glaubwürdigkeit zu verleihen. Selbst die Sinfonia domestica dient nicht der trivialen Ausbreitung des Privaten in einer Komposition höchster Ambition, sondern es geht um die (durchaus riskante) Durchdringung der Kunst mit den Erfahrungen des Alltags. Das Werk ist am Ende die produktiv gemeinte, aber endgültige Rücknahme des appellativen Charakters von Sinfonik als Menschheitsansprache.

"Ja, Strauss galt Adorno
und allen, die ihm folgten,
nicht einmal als wirklicher Komponist"

Strauss hatte sich von aller musikalischer Metaphysik verabschiedet. Damit unterscheidet er sich von seinem großen Antipoden Gustav Mahler, der seine Symphonien als weltanschauliche Bekenntnisse verstanden hat. Wegen des fehlenden Glaubens an diese Möglichkeit hat Strauss schließlich fast ganz auf die Instrumentalmusik verzichtet. Allein die Bühne, die Oper galt ihm als angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Moderne. In einer Zeit, in der die Sprach- und Sinnkrisen als zerstörerisch empfunden wurden (und Strauss hat diese Diagnose geteilt), sollte die Oper dem modernen Menschen Möglichkeiten der Selbstverständigung wenigstens anbieten. Dafür wurden zentrale Muster des im Banne Wagners stehenden Theaters aufgegeben: die Konzentration auf mittelalterlich-mythologische Erlösungsstoffe, die zum Weltendrama geweitete Tragödie, die Erläuterung des eigenen Werks in theoretisch-ästhetischen Schriften, schließlich die Einheit von Librettist und Komponist.

Die neue Komödie, deren erste Ausprägung der Rosenkavalier war (als selbstformulierte Antwort auf die letzte Tragödie der Elektra), sollte der Kunst eine neue Gegenwart gewähren: in der Hinwendung zum Menschen, zu seinen sozialen Bezügen und Beziehungen, zum Versuch eines Dialogs. Strauss verstand dies – wie auch Hofmannsthal – als genuinen Weg des 20. Jahrhunderts, als eine Moderne eigener Art, fern aller Proklamationen und Verheißungen. Die Muster dieser Verständigung – die unausgesetzte schöpferische Produktivität, der Dialog, die Form, die Bezüge zur Tradition, die Tonalität – waren nicht „gesetzt“, sie verstanden sich als mühsam neu erworben. Der Komponist hielt daran nach dem plötzlichen Tod Hofmannsthals fest.

Dieser Weg in die Moderne hatte Gestehungskosten, die sich bei Strauss auch in seinem anfangs ambivalenten Verhältnis zum Nationalsozialismus zeigen. Seine – von den Parteifunktionären keineswegs vorbehaltlos angetragene – Übernahme des Präsidiums der neu geschaffenen Reichsmusikkammer endete freilich in einem persönlichen Debakel. Erst spät hat Strauss (auch angesichts der Bedrohung für seine jüdische Schwiegertochter) begriffen, wie sinnlos die Suche nach Kompromissen in einem System des Verbrechens sein musste. Vielleicht hat er deswegen bis zuletzt, bis hin zu Capriccio (einen Plan Stefan Zweigs aufgreifend) und der Liebe der Danae (einen Plan Hofmannsthals aufgreifend), an seinem Begriff von Musik festgehalten.

Wenn es also eine Hoffnung für das Jubiläumsjahr 2014 gibt, dann vielleicht die: dass die Wahrnehmung des Komponisten endlich frei werde von jenen Klischees, die ihn so lange begleitet haben. Strauss war kein Romantiker, kein Musikant und schon gar kein Relikt ferner Zeiten. Er war, mit allen Reibungen, ein Musiker seiner Gegenwart des 20. Jahrhunderts, als dessen bedeutendster Opernkomponist er heute gelten muss. Wie Thomas Mann in der Literatur hat er zum Selbstverständnis des Menschen in der Moderne beigetragen – mit Wirkungen bis zum heutigen Tag. Sollte daher das Jahr seines 150. Geburtstags zu einem veränderten Strauss-Bild beitragen können, so hätte das Gedenkjahr einen guten, einen produktiven – und eben auch einen notwendigen Sinn.


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