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Die Berliner Philharmoniker: Das Vorzeige-Orchester - Die Berliner Philharmoniker: Das Vorzeige-Orchester

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Auch die Berliner Philharmoniker bekommen einen Echo Klassik.
Kontrabassist Peter Riegelbauer, Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker, über die Rattle-Nachfolge, CD-Aufnahmen und den deutschen Klang.Keine Frage, die Berliner Philharmoniker sind ein Mythos. Seit ihrer Gründung 1882 haben sie im Zusammenspiel mit den bedeutendsten Dirigenten und Solisten Maßstäbe in der Musikwelt gesetzt. Dieses Jahr stehen gleich zwei Jubiläen an. Im Jahr 1913, also vor hundert Jahren, nahmen die Berliner als erstes Orchester überhaupt eine ganze Sinfonie auf Schallplatte auf: Arthur Nikisch dirigierte Beethovens Fünfte. Die Einspielung erschien beim Label Deutsche Grammophon auf vier doppelseitigen Platten. Und vor genau 50 Jahren bezog das Orchester seine aktuelle Heimspielstätte, die Philharmonie am Potsdamer Platz, gebaut nach Plänen des Architekten Hans Scharoun. Nun sorgte Anfang des Jahres die Meldung für Aufregung, Chefdirigent Sir Simon Rattle werde seinen 2018 auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Ein Nachfolger muss her! Alles gute Gründe, sich mit dem Kontrabassisten Peter Riegelbauer, der im Vorstand des Orchesters sitzt, einmal ausführlich zu unterhalten.

Herr Riegelbauer, sind Sie jetzt eigentlich sehr traurig?
Traurig? Worüber?

Dass der lettische Dirigent Andris Nelsons gerade beim Boston Symphony Orchestra unterschrieben hat …
Nein, wieso? Ist doch schön für ihn. Und für Boston auch. (lacht) Sie spielen wohl darauf an, dass er als unser möglicher neuer Chefdirigent gehandelt wird.

Zumindest munkelt man, sein Name stünde auf der Kandidatenliste ganz weit oben.
Nun, er ist ein hochgeschätzter junger Dirigent. Wir werden sehen, ob das Orchester ihn wirklich in Betracht zieht. Es ist alles noch offen; bis 2018 ist ja noch viel Zeit. Natürlich wird intern, in kleinen Gruppen, schon eifrig diskutiert. Aber in der Orchesterversammlung geht es derzeit mehr um Formales, um den Wahlmodus, um den zeitlichen Fahrplan.

Und, wie sieht er aus?
Bis zum Herbst wollen wir uns über die Formalitäten verständigt haben. Danach diskutieren wir das Wesentliche, nämlich unsere inhaltlichen Vorstellungen. Wie soll der zukünftige musikalische Leiter aussehen? Welche Erwartungen haben wir an ihn und an unsere Zusammenarbeit? Das wird sicher bis zum nächsten Sommer dauern.

Peter Riegelbauer - Foto: Archiv Berliner Philharmoniker Furtwängler - Foto: Archiv Berliner Philharmoniker Foto: Universal Music Auftritt in der Berliner Waldbühne. Wilhelm Furtwängler - Foto: Archiv Berliner Philharmoniker Herbert von Karajan - Foro: Siegfried Lauterwasser Archiv Berliner Philharmoniker Claudio Abbado - Foto: Archiv Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle - Foto: Archiv Berliner Philharmoniker

Können Sie vielversprechende Kandidaten denn jetzt noch schnell zum Gastdirigat einladen?
Das wird kaum möglich sein. Die richtig guten Dirigenten sind ja so nachgefragt, dass wir etwa drei Jahre im Voraus planen müssen. Ich bedauere sehr, dass wir da nicht flexibler sein können! Und selbst wenn jemand erkranken und absagen sollte, wäre es schon ein großer Zufall, wenn wir als Einspringer ausgerechnet jemanden bekämen, den wir in dieser Hinsicht interessant finden. Im Umkehrschluss lässt sich sagen: Unter den Gastdirigenten der letzten und der nächsten Spielzeiten sind einige potenzielle Kandidaten.

Dabei haben Sie es mit einer demografischen Ausnahmesituation zu tun: Viele Pultstars von heute wären in fünf Jahren schlicht zu alt für das Amt. Es gibt eine junge Generation, die ans Pult drängt, der aber vielleicht noch die Reife fehlt. Und dazwischen klafft eine Lücke – bis auf wenige Ausnahmen wie Thielemann, Chailly und Metzmacher, die aber alle ein sehr spezielles Profil pflegen.
Da haben Sie recht, das wird nicht einfach. Es gibt sicher ein paar Junge, die wir noch besser kennenlernen müssen. Vielleicht muss man unkonventionell denken.

Mit dem Karajan-Schüler Thielemann könnten Sie immerhin die leidige Debatte um den „deutschen Klang“ beenden, der dem Orchester in der Ära Rattle angeblich verloren gegangen ist.
Ach, die Klang-Debatte. Natürlich hat das Orchester früher anders geklungen – aber doch nicht besser oder schlechter! Sehen Sie, unter Karajan haben wir Beethoven mit zwölf Kontrabässen und verdoppelten Bläsern gespielt. Ein fulminanter, rauschhafter Klang. Das entsprach dem Zeitgeist, die historische Aufführungspraxis war noch nicht so präsent. Abbado dagegen hat mehr Wert auf Transparenz gelegt – das war auch wunderbar. Und unter Simon Rattle ist das rhythmische Element mehr in den Fokus getreten. Andererseits gibt es, glaube ich, einen Grundklang, der unabhängig vom Chefdirigenten besteht, weil Spieltraditionen innerhalb der einzelnen Stimmgruppen über Generationen weitergegeben werden.

Jubiläums-Trouvaillen:

Box
Festkonzert zum 50. Jährigen Jubiläum der Philharmonie am 20. Oktober mit Werken u.a. von Berlioz und Rihm (Uraufführung) CD-Box »100 Jahre Berliner Phlilharmoniker & Deutsche Grammophon« mit 50 CDs. Aktuelle CD: Rachmaninow: »Die Glocken« mit Dirigent Sir Simon Rattle 

Zur Tradition des Orchesters zählt ja auch eine rege Aufnahmetätigkeit, vor allem unter Karajan. Die Berliner Philharmoniker haben in 100 Jahren insgesamt 2.500 Aufnahmen eingespielt – Wieder-Auflagen nicht mitgezählt. 50 davon gibt es jetzt in einer großen Jubiläumsbox. Aber mal aus Musikersicht: Bedeutet der Perfektionsdruck dabei nicht einen riesigen Stress?
Ganz im Gegenteil! Im Konzert weiß ich ja: Ich habe nur einen einzigen Versuch. Das erzeugt natürlich großen Stress, vor allem für unsere Solo-Bläser. Im Studio dagegen kann man Stellen, die nicht geklappt haben, ja notfalls wiederholen. Es hängt allerdings von der Art der Aufnahme ab.

Inwiefern?
Nun, es gibt drei Formen. Beim echten Live-Mitschnitt gilt natürlich, was auch für das Konzert gilt. Das machen wir aber nur selten – höchstens, wenn wir einen Rundfunkmitschnitt herausbringen, quasi als Tondokument seiner Zeit. Das Gegenteil davon ist die klassische Studioaufnahme, die sogenannte „Kaltsitzung“. Da geht es darum, eine exemplarische Interpretation eines Werkes in absoluter Perfektion vorzulegen. Das war die wesentliche, ja fast die ausschließliche Form der Karajan-Jahre.

Die aber mangels Publikum und Live-Atmosphäre unter Umständen etwas zu kalt ausfallen kann.
Es ist halt eine andere, eine eigene Kunstform. Aber wir praktizieren heute meistens eine Mischform: Wir schneiden ein Konzert mit, das wir zwei- oder dreimal in der Philharmonie spielen. Und falls unser Tontechniker nicht genug Material hat, um beispielsweise Störgeräusche des Publikums herauszuschneiden, oder falls eine Stelle nicht befriedigend geklappt hat, machen wir nachträglich noch eine Korrektursitzung und nehmen einzelne Abschnitte auf. So verbinden wir den Charme der Konzertatmosphäre mit der Perfektion des Studios. Diese Methode ist übrigens auch wirtschaftlich am effektivsten, weil man ja zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Zumal wir alle unsere Konzerte in der „Digital Concert Hall“ ins Internet übertragen.

Wer entscheidet denn, ob Korrekturen notwendig sind? Tonmeister oder Dirigent?
Beide. Da der eine direkt vorm Orchester steht und der andere hinterm Mischpult sitzt, haben sie unter Umständen ja ganz andere Höreindrücke. Natürlich müssen sich die beiden einig sein, wie der Klang sein soll. Ein interessanter Prozess, denn die heutigen Tonmeister sind hervorragend ausgebildet und bringen oft gute Impulse mit. Im Zweifelsfall spielen wir eine Stelle halt noch ein zweites Mal.

Die 128 Orchestermusiker sind da – bei aller Basisdemokratie – aber nicht einbezogen, oder?
Also, wenn es in einer Sinfonie große Bläsersoli gibt, dann kommt der jeweilige Kollege schon dazu und will hören, ob sein Part auch so klingt, wie er sich das vorstellt. Aber dass nun die ganze Kontrabassgruppe hergeht und mosert, die Bässe seien zu leise …

Erkennen Sie eigentlich hinterher wieder, aus welchen Schnipseln der Tonmeister die Aufnahme zusammengemischt hat?
Glauben Sie mir, die Technik ist so fortgeschritten, das kann kein Mensch heraushören. Auch ich nicht.


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