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„Die Übermutter“ - Zum 75. Geburtstag von Martha Argerich

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Wenn sie das Podium betritt, knistert es. Immer noch. „La Martha“ ist da, die „Löwin am Klavier“! In Japan wird sie wie eine Göttin verehrt: Martha Argerich.

Veranstalter aber fürchten sie. Den Spitznamen „Fräulein Nein!“ bekam sie von Anfang an, weil sie mehr Konzerte absagte, als dass sie welche gab. Sie habe „alles dafür getan, ihre Karriere zu ruinieren“, meint einer ihrer Agenten.

Interviews mit ihr gleichen einem absurden Theaterstück. Sie hält sich nicht an Termine. Die Stunden vergehen. Und als man die Hoffnung bereits aufgegeben hat, erscheint sie plötzlich im Hotelfoyer, dunkel gekleidet, mit bleichen Zügen, vorzugweise nach Mitternacht. Wer jetzt nicht die Chance ergreift und sie anspricht, idealerweise auf Spanisch, der Sprache ihrer Kindheit in Argentinien, der hat verloren. Mir ist es sogar gelungen. Sie entschuldigt sich. Erwähnt ihre Angst vor Journalisten und deren bohrenden Fragen nach Details ihrer Interpretationen, ihres Repertoires oder nach Kollegen. Vielleicht glaubt sie, sich grundsätzlich bei der Presse intellektuell ins Zeug legen zu müssen? Man gibt zu: So schlau sei das nicht immer, was andere Kollegen sagen. Sie lacht. Das Eis scheint vorerst gebrochen. „Ahr-ge-reech“ buchstabiert sie ihren Namen, der auf kroatisch-katalanisch-jüdische Wurzeln weist, und erzählt, dass es sogar ein Dorf gibt, das Argeric heißt.

Sie redet von ihrer Kindheit in Buenos Aires. Vom Vater, der sie für „ein Genie“ hielt und sich dennoch kaum um sie kümmerte. Und von Mutter Juanita, die es als ihre Lebensaufgabe betrachtete, sie zu fördern, deren „Martha, üben!“ sie immer noch im Ohr hat.

Sie lächelt, wenn sie an Friedrich Gulda denkt, ihren ersten Lehrer in Wien, der sich nicht traute, Geld für den Unterricht zu verlangen, da er sie für das „größte Talent“ hielt. 1965 gewinnt sie den Chopin-Wettbewerb in Warschau. Es ist der Beginn einer spektakulären Karriere, mit vielen Aufs und Abs. In ihrer „autorisierten Biografie“ erfährt man von wilden Jahren in Genf, ihrer Musiker-WG mit „achtzehn Katzen“ und vielen, die dort ein- und ausgingen. Von New York und Los Angeles sowie von Brüssel, wo sie heute lebt. Eine schwere Krebserkrankung gehört in dieses rastlose Leben; zwei Ehen, drei Töchter und diverse Liaisons mit Kollegen, die mit ihrem hektischen Nachtleben nicht Schritt halten konnten und es irgendwann vorzogen, sie nur auf dem Podium zu verehren. Ihren Ruf als Femme fatale in der Presse, die ihr „einen Hauch von Juliette Greco“ attestierte, habe sie nie verstanden. „Ich war sehr kurzsichtig und musste die Augen zusammenkneifen, um die Leute zu erkennen. Das mag mir diesen merkwürdigen Blick verliehen haben.“ Noch mehr gibt der Film von Stéphanie Argerich, Marthas Tochter aus der Liebe zum Pianisten Stephen Kovacevich, über die Künstlerin preis. Sein Titel „Bloody Daughter“ ist Programm, ein Familiengeheimnis wird aufgedeckt, ohne dass sich Töchter und Mutter wirklich nahekommen.

Dabei strahlt Martha Argerich mit ihrer weiblichen Figur etwas Mütterlich-Erdgebundenes aus. Sie liebt es, als „pianistische Übermutter“ eine „Musikfamilie“ um sich zu scharen, auch weil sie sich allein auf der Bühne „wie ein Insekt unter der Lampe“ fühle. Drei Festivals hat sie gegründet, in Lugano, Beppu (Japan) und Buenos Aires. Ihre Großzügigkeit kennt keine Grenzen, wie auch die Pianistin Sophie Pacini erleben durfte. „Ich war erst vierzehn. Ich wusste, ich spiele um mein Leben“, erinnert sie sich, als sie in einem Hotel in der Toskana Argerich erstmals vorspielen durfte. „Nach dem Vortrag kam sie schnellen Schrittes auf mich zu, umarmte mich, gab mir einen Kuss und sagte: ,Bravissima!‘“ Seitdem tritt Sophie Pacini nicht nur auf sämtlichen Bühnen auf, sondern ist mit ihr auch befreundet. Immer wenn Argerich zu Gast bei der Familie Pacini in München ist, erzählt sie, seien ihre Eltern „völlig nervös. Papa räumt tagelang herum und Mama versucht, ihre Spaghetti so gut wie möglich zu machen.“

75 Jahre wird Martha Argerich nun alt. Ihre unglaubliche Vitalität, ihre „fliegenden Hände“ hat sie sich bewahrt, aber auch den Eigensinn. Mit virtuosem Furor fegt sie durch die Werke von Chopin, Liszt oder Prokofjew, nimmt sich jede Freiheit und schafft dabei Musik, die keinen Besitzer mehr zu kennen scheint. Argerich hört man, einen lebendigen Mythos. Mit Martha zu musizieren, sagt Mischa Maisky, der sie seit vierzig Jahren kennt, sei „jedes Mal so, als wäre es das erste Mal. Sie ist so voller Leben. Immer frisch und neu. Unerwartet, mit einem Wort: aufregend!“

Martha Argerich: The Legendary 1965 Recording (Werke von Chopin)
Warner Classics (Warner)
Martha Argerich: Early Recordings
Deutsche Grammophon (Universal Music)
Martha Argerich: The Complete Chopin Recordings on Dg
Deutsche Grammophon (Universal Music)
Martha & Friends Argerich: Argerich & Friends Live from Lugano 2015
Warner Classics (Warner)

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