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Zum Beispiel der große Rudolf Schock! - Zum Beispiel der große Rudolf Schock!

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Jubiläen sind wunderbar, findet Axel Brüggemann, doch nicht alle bekommen die Bühne, die sie verdient hätten. Ein Loblied auf Rudolf Schock, der im letzten Jahr hundert geworden wäre.Zugegeben, ich mag Geburtstage: gute Freunde, gutes Essen, guter Wein. Dazu die Erinnerung an Wege, die man gemeinsam mit der Familie gegangen ist, an Abenteuer, die man mit Freunden erlebt hat, an Projekte, die man mit Kollegen ausgeheckt hat – an das Scheitern und Siegen im Großen und im Kleinen. Geburtstage sind wie ein Blick in den Spiegel, eine Standortbestimmung, ein Rückblick, eine Einordnung der Gegenwart und ein Ausblick auf das, was noch kommen könnte. Geburtstage geben Zeit und Raum, das eigene Dasein mit der Welt abzugleichen. Sie sind Momente des Innehaltens, der Feier des Lebens und seiner Alltäglichkeiten.

In der klassischen Musik sind Geburtstage und Jubiläen auch die Möglichkeit, all das zu entdecken, was viel zu lange verschollen war und all jenes auszugraben, was zu Unrecht vergessen wurde. An Geburtstagen  lassen sich auch alte Perspektiven neu vermessen. Jubiläen werden oft verschmäht wie die Goldene Hochzeit von Oma und Opa. Aber für viele Medien sind sie noch immer sogenannte „Aufhänger“, Anlässe, um das zu thematisieren, was sonst unter den Tisch fällt. Kurz: Geburtstage sind ein guter Grund für Entdeckungen!

Das Jubiläumsjahr 2015 war für mich auch deshalb spannend, weil ich durch den Sibelius-Geburtstag und die Berichterstattung über den oft belächelten Finnen endlich gezwungen wurde, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Und, ja, ich habe ihn und seine Musik, die ich lange für großen Kitsch hielt, neu entdeckt.

Vor zwei Monaten wurde der 80. Geburtstag von Luciano Pavarotti gefeiert. Als ich sah, wie Freunde auf Facebook seine alten Videos teilten und als ich ihn im Fernsehen als einen der „Drei Tenöre“ singen hörte, erinnerte ich mich an meinen letzten Besuch bei ihm in Modena. Das war ein Jahr vor seinem Tod. Mitten im Sommer war das Haus von „Big P.“ noch weihnachtlich dekoriert. Er saß – groß und zusammengesunken  – in roten Shorts am Tisch. Es fiel ihm schwer, sich wachzuhalten. Der Mann hinter dem Bart war melancholisch und müde. Für mich war das erschütternd. Als ich ihn fragte, ob er selbst noch vom Sprungbrett in den Pool springen würde, lachte er: „Nein, das ist nur noch für die Kinder.“ Als ich damals sein Grundstück verließ, wurde Pavarotti gerade wegen seiner Liebschaften, der Ehe-Streitereien und wegen irgendwelcher Steuerdinge in der Boulevardpresse angegriffen, viele hielten ihn für eine Karikatur seiner selbst. Seine Stimme rückte in den Schatten, die Legende wurde demontiert, seine Lebensleistung wurde dem Alltag geopfert. Pavarotti, die Jahrhundertstimme, war mit den Worten der New York Times inzwischen der „fat man who can’t sing“. Jetzt, an seinem 80. Geburtstag, am 12. Oktober 2015, wurde mir wieder klar, dass ich damals zwar einen müden Mann, aber eben auch einen Unsterblichen besucht hatte.

Ich hatte dieses Jahr allerdings auch ernüchternde Erfahrungen mit der Jubiläums-Erinnerungskultur unserer Medien. Ein Freund und Produzent wollte gemeinsam mit mir einen Film zum 100. Geburtstag von Rudolf Schock drehen. Der Ausnahmesänger wurde vor 100 Jahren am 4. September 2015 in Duisburg geboren. Sein Leben ist ein urdeutscher Soundtrack gewesen: der Arbeitersohn, dessen Vater im Ersten Weltkrieg kämpfte, das Kind, das in der Republik von Weimar Kohle stehlen musste, der Mann, der eine Frisörausbildung begann und eher zufällig von einer reichen Kundin musikalisch gefördert wurde. Rudolf Schock war jemand, für den die Stimme eine Naturgewalt war: der ungehemmte, unverschlissene, ewig wache Ausdruck des Menschseins.

Gerade, als seine Karriere begann, wurde er von Hitler an die Front geschickt. Er liebte das Leben und begegnete immer wieder dem Tod. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er alle Engagements an, egal ob in Ost- oder Westberlin – er fand verschlungene Wege über die Grenze, ignorierte die Trennung des Landes. Schock wurde zur Stimme des Wirtschaftswunders, lernte das Who is Who im Nachkriegsdeutschland kennen und konnte es sich irgendwann leisten, eine Villa am Starnberger See zu bauen. Mit seiner Stimme wollte er auch verarbeiten: das eigene Leiden, das Leiden seiner Familie, das Leiden Deutschlands. Sicher, er war kein 68er, kein Revoluzzer, stattdessen verkörperte er ein anderes Deutschland, das Deutschland all jener, die so viel Unerträgliches erlebt hatten, dass sie nun endlich einmal glücklich sein wollten.


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